5,0 su 5 stelle
Von der stillen Zerstörungskraft der Nymphomanie
Recensito in Germania il 9 luglio 2019
Eigentlich schwebt diese Autorin schon lange auf meinem Literatur-Radar und wenn ich ehrlich bin, bin ich schon seit 2016, als sie mit ihrem Roman "Dann schlaf auch du" den bekannten Prix Goncourt von Frankreich gewonnen hat, der 2017 bei Luchterhand erschienen ist - neugierig geworden. Slimani hat diesen Roman bereits 2015 veröffentlich, der unter dem Titel: "Dans le jardin d'ogre" erschienen ist. Und manchmal frage ich mich, warum gut geschriebene Bücher hier so schlecht bewertet und dazu auch noch mit "hilfreich" angeklickt werden, deren inhaltliche Aussagen (ich meine die Rezensionen) oft zu diesen Büchern selbst schon so aussagelos sind, dass man ihre Berechtigung hier wirklich in Frage stellen kann. Literaturpreise befördern ja bekanntlich Bücher und deren Autorin in den Fokus der Aufmerksamkeit, wobei man natürlich sowohl positive wie negative Erfahrungen damit machen kann, wobei meine Erfahrung damit aber ist, dass ich mich auf die ausländischen immer noch mehr als auf die inländischen Preise - Stichwort: Deutscher Buchpreis - verlassen kann.
Was vielleicht in so mancher Männerfantasie noch als Stimulator wirken mag, wird hier der profanen Ernüchterung überführt, denn wir lesen von der stillen Zerstörungskraft der Nymphomanie, die in ihrer psychischen und zerstörerischen Struktur besser nicht beschrieben werden könnte. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht Adèle, die mit ihrem Mann Richard Robinson verheiratet ist, die zusammen einen kleinen Sohn, Lucien, in einer Pariser Wohnung wohnt, wobei Richard der als Arzt in einer Klinik arbeitet, langfristig aufs Land ziehen will und bald auch ein Angebot bekommt, um diesem Ziel näher zu kommen...Sie arbeitet als Journalistin bei einer Zeitung, könnte eigentlich ein zufriedenes Leben leben, doch ihr Leben ist ein Aushalten, zwischen Selbstbestimmung, innerer Zerrissenheit und der ausgelieferten Ohnmacht nichts zu tun, obwohl sie die Verantwortung für ihr Leben übernehmen müsste. Doch sie tut es nicht...Ein vorgespurtes Leben, dass der Langeweile anheim zu fallen scheint, die Protagonistin, das Gegengift nicht kennt und die Glocke der passiven Ohnmacht einer Zerreissprobe gleichkommt. Innerlich wie abgestorben, scheint der Sex noch das einzige Lebendige zu sein, zu dem Adèle noch einen Zugang zu haben scheint. Das Nichthandeln, aus Aushalten in scheinbarem Leben, das zur hohlen Langeweile mutiert, bringt den Roman an die Grenze des noch Aushaltbaren.
Adèle lebt ein Doppelleben, auf krankhafte und suchtstrukturierte Art, lässt sie sich 'wahllos' auf Männer ein, bekannte und unbekannte, lügt ihren Mann an, lässt ihren kleinen Sohn alleine zu Hause, kommt zu spät oder gar nicht auf die Arbeit, lügt ihre Umgebung an, die Einzige der sie vertraut, ist ihre Freundin Laura, die aber auch für Alibis herhalten muss, um ihr Fremdgehen abzusichern. Eine Ehe, die auseinandergelebt zu sein scheint, und eine Frau deren inneren Abgründe vor den Augen des Lesers offenbart werden, fast emotionslos geschrieben, spürt man den lautlosen und stillen Schmerz der Verzweiflung, der inneren Abgründe, der inneren Entfremdung, als ob es eine Kraft gäbe, die über uns zu entscheiden vermag und wir die Verantwortung oder gar die Wahl - für oder gegen - gar nicht mehr in den Händen hätten. Die Worte dafür sind Abhängigkeit und Sucht. Wenn Menschen das Gefühl haben, nicht mehr selbst entscheiden zu können, so auch hier, leben sie in einem zerstörerischen Fahrwasser, deren Opfer sie zu sein scheinen...Das Gefühl dahinter: Hilflosigkeit und Ohnmacht. Etwas das wir alle kennen.
Als Leser lässt uns Leïla Slimani in das innere von Adèle und Richard blicken, wir sehen die Ausweglosigkeit, die inneren Abgründe, die lautlose Verzweiflung, den Hass den Richard seiner Frau gegenüber entwickelt, als er eines Tages erfährt, welches Doppelleben seine Ehefrau lebt. Was in der Heimlichkeit lange stringent funktionierte, wird irgendwann zur offenen Besitz- und Kontrollstrategie, denn Richard beginnt seine Frau wie im Gefängnis zu behandeln, wird innerlich immer kälter und gefühlsloser, versetzt sie und wird durch ihre Abgründe mit den eigenen immer mehr konfrontiert. Das Besondere ist meiner Meinung nach, wie genau Slimani nicht nur beobachtet, seziert, schildert, sondern eben auch dieses Ausgeliefertsein beschreiben kann, das man als Leser auf die eine oder andere Art nachvollziehen kann, selbst dann, wenn man von diesem Thema nicht betroffen ist. Wenn der Sex noch das Einzige ist, wo man sich noch zu spüren vermag, liegt vermutlich die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, gerade in diese hier beschriebenen Abgründe zu gelangen. (Die Sucht selbst könnte genauso eine andere sein)
Doch als Elke Heidenreich so nebenbei das Wort "Meisterwerk" im Schweizer Literaturclub verwendet, wo dieses Buch vor einiger Zeit besprochen wurde, werde ich hellhörig. Und ich habe mich gefragt, ob das grosse Literatur ist. Ich finde ja. Leïla Slimani schreibt sich in die immer grösser werdende Literatur hinein, ich bin mir sicher, dass das nicht ihr letzter Preis ist, den sie 2016 mit ihrem Nachfolger "Dann schlaf auch du" gewonnen hat. Für mich ist dieses Buch ein Stück grosse Literatur, und zwar deswegen, weil es nicht nur die Sicht auf dieses Aussenseiterthema wirft und wir dadurch eine völlig neue und andere Haltung einzunehmen beginnen, sondern auch, weil uns hier eine Autorin die menschliche Schwachseite vor Augen führt, deren Anteile wir alle auch in uns tragen. Ein heftiges Thema, das einfach nur großartig erzählt ist. Ihren Roman "Dann schlaf auch Du" werde ich mit Sicherheit noch lesen. Dessen bin ich mir sicher. Einfach nur großartig! Nicht zuletzt hat ihr Buch gerade in ihrer Heimat "Marokko" hohe Wellen geschlagen. Das Thema "Fremdgehen" ist gerade in der islamischen Welt mit der europäischen in keinster Weise zu vergleichen, und nochmal eine ganz andere Nummer, die wir uns vermutlich auch gar nicht vorstellen können.
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